Moosbierbaumer Dorfblatt'l. Unabhängige Moosbierbaumer Dorfzeitung
Jahrgang 6 • Ausgabe 16 • April 2004

 

Vergangene Wege

Wir messen die Zeit an unserem eigenen rasch verrinnenden Leben, und das versickert jeden Tag im harten Boden des Berufes. Doch dann kommt eine Stunde der Rast, man denkt nach - über den Sinn des Lebens, über das Soll und Haben, über die Veränderungen im Dorf und im Dorfleben.

In so einer Stunde des Sinnens wurde auch mir bewusst, dass in den langen Jahren meines Berufslebens mich die Heimat mit steter, stiller Gewalt immer enger an sich gezogen hat.

So wandern auch die Gedanken zurück in die Kinderzeit und da tut sich eine wunderbare Welt auf: Als ob man den Deckel einer Truhe aufschlüge, verstaubt und altersbraun, findet man die schönsten Sachen. Als ob sie schon lange darauf gewartet hätten, beginnt man sie dann - wie Krippenfiguren - fein säuberlich aufzustellen, jedes Ding an seinem rechten Ort.

So ist es auch mit den Fußwegen, die ehemals rund um das Dorf führten. Ohne je auf einer Landkarte verzeichnet gewesen zu sein, waren sie genauso wichtig und hatten sie fast den gleichen Stellenwert wie eine Straße. Für sie ist heute kein Platz mehr. Und wer heute einen Gang tun wollte auf den alten Wegen, auf denen durch mehr als hundert Jahre die Dorfleute gegangen sind, der findet diese Pfade kaum noch.

Es waren dies die sogenannten „Oschneida“ - Abkürzungen aufs Feld, zu den Kellern, zum Bahnhof oder zur Kirche.

Soweit sie noch in Erinnerung geblieben sind - diese verlorenen Wege - wollen wir sie nun gemeinsam durchwandern.

Unweit der Dorfmitte, an der Hauptstraße, beim Garteneck Trünkel, führt uns der Weg Richtung Nordost über Wiesengrund. Hier befand sich einst der Fußballplatz von Hellas Moosbierbaum. Hinter Gärten entlang, dann quer über Wiesen bis zum „Irsigler“, von dort ging man auf einem Feldweg weiter ins Bodenfeld, ins Moosfeld oder in d´Heubrucken. (1)

Ein weiterer kleiner, relativ kurzer Weg führte (etwa von der Garage Schlüsselberger) quer über die Wiese zum Bahnhof. Dieser Weg wurde bis um das Jahr 1960 - allerdings nur bei Schönwetter - von den Dorfleuten begangen. Heute ist davon nur mehr ein Fragment vorhanden, den Park querend und zum Bahnhof führend. Es ist genau den heutigen Menschen angepasst, nämlich asphaltiert. (2)

Ein jeder Ortsteil hatte seine Wege, so auch das Unterort - der untere Ortsteil oder die Sackgasse. Und auch hier ist der Zielpunkt der Bahnhof, der das Leben der Dorfbewohner seit dem Jahre 1885 entscheidend beeinflusst hat.

Von der Muckwiese beim Wegscheider (Greiner)- Garten führt ein Weg nordwärts und nach ca. 100 m mündet dieser in einen Feld - Wiesenweg. Auf dem Mitterroan (das ist der grasbewachsene Streifen zwischen den Fahrspuren) ging man dann zum Bahnhof oder ins Gasthaus Müllner oder aufs Feld. (3)

Der Hoidaweg ist wohl der einzige Weg, der in das Grundbuch eingetragen wurde. Zwar nicht ganz in seiner ursprünglichen Form, aber immerhin wurde er bei der Kommassierung im Jahre 1959 als öffentliches Gut der Bevölkerung gesichert.

Aber ehe wir diesen Weg gehen, noch einige Gedanken über seine Namensgebung:
Der Hoida (Halter, Viehhirte) war meist ein von Grund auf erfahrener Mann am Gerät und am Vieh. Er versah in früheren Zeiten die Stelle eines Tierarztes, wurde als Geburtshelfer bei den Kühen, Ziegen und Pferden benötigt und er war eben auch Halter von männlichen Zuchttieren (Ziegenbock usw.).

Seine Hauptarbeit in den Sommermonaten war das Viehhüten; aus dieser Zeit stammen auch die alten Moosbierbaumer Riednamen Mittagweide und Nachtweide. Im Unterort stand einst auch das Hoidaheisl, die Wohnung des Halters. Es war dies das ehemalige Haus Nr. 4, welches der sogenannten Urhausgemeinde gehörte. Um das Jahr 1910 wurde es abgerissen, und das Grundstück wurde 1916 an Schmiedemeister Franz Hornek verkauft, welcher dort eine Scheune errichtete.

Und hier, an der Grenze von Dorfflur und Wagram, zwischen Deimelkeller und dem ehemaligen Maier (Härtinger)- Stadel beginnt der Hoidaweg. Dort ist ein kurzer Aufstieg aus der Ebene des Tullnerfeldes - bei den Dorfleuten als „Hoidaberg“ bekannt . Ein von Flieder und Holunder umwachsener Anstieg ist es, der uns den kleinen Bergrücken hinaufführt (4).

Dieser von Strauchwerk gesäumte Weg führt uns zunächst hinter den Gärten westwärts bis zum Deimel (Grouza)- Garten und beim Rabacher (Högl)- Garteneck geht´s nochmals hügelan zum Kornherr (Manner)- Haus. Hier teilt sich der Pfad. Man kann hinunter in die kleine Kellergasse, im Volksmund „Geisterlucka“ (welch schauriger Name) gehen. Oder vorbei am Mannerhaus hinter den Kellern und einem 1921 gemauerten Transformatorhaus über die Ried Kirchfeld gen Heiligeneich zu.
Dort, wo der Hoidaweg endet, es ist beim Haus Niederberger, überqueren wir die Straße und kommen ins „Doktorgassl“, eigentlich Dr.- Haussteiner-Gasse, benannt nach dem hier bis 1979 ordinierenden Gemeindearzt. Diese Gasse ist etwa 100 m lang, für Fahrzeuge ist es eine Sackgasse, aber nicht für Fußgänger! Denn die Dorfleute wussten auch hier die „Oschneida“ zu schätzen.

Über den beim Doktorgassl angrenzenden Umkehrplatz führt der Weg geradehin zur Kellergasse. Diese liegt aber um 4m tiefer und um diesen steilen Abhang, zwischen Kopp (ehemals Sumetzberger)- Keller und Müllner (Ring)- Keller leichter begehbar zu machen, wurden Stufen in den Hang gestochen. Diese hielten aber nicht sehr lange, denn die Gewitterregen spülten die Lehmstiegen wieder weg, und was der Regen nicht schaffte, das besorgten dann die Dorfbuben. (5)

Das Strauchwerk, welches hier in der Kellergasse und bei den Gärten so üppig wuchs, hatte auf die Dorfbuben eine kolossale Anziehungskraft. Nicht weil sie die Schönheit der Hecken und deren ökologische Bedeutung erkannten, sondern weil man hier so herrlich Indianer spielen und so manche heimliche Zigarette rauchen konnte.

Weiters wuchs hier auch ein gar wichtiger Bestandteil eines Bubenrequisites, nämlich die Gabel für das „Zwiescherl“ (Steinschleuder).

Kein Wegzeichen ziert den Fußweg, der auch vom Doktorgassl weg in nordwestlicher Richtung hinter den Kellern und beim Zigeunerberg vorbeigeht und dann in den Fahrweg, der von der Kellergasse in Richtung Hardt führt, mündet. Dieser Fußweg wurde meist von Heiligeneichern begangen, er diente wohl als Verbindungsweg zwischen Doktorgassl und der Kremser Landstraße (B 43). (6)

Zur Winterzeit hatte dieser Pfad eine besondere Bedeutung, denn da führte er die Kinder zum Zigeunerberg. Dieser kleine Abhang hin zur Kellergasse war immer ein kleines Paradies für Kinder. Sie genossen dort, wenn auch oft nur für kurze Zeit, die winterlichen Freuden.

Wie und wann der Zigeunerberg zu seinem Namen kam, das weiß heute niemand mehr. Wahrscheinlich stammt er daher, weil am Fuße des Abhanges, in der Kellergasse, bis zum Beginn der Sechzigerjahre dieses fahrende Volk lagerte.

Die Nützlichkeit einer Verordnung von Kaiser Josef II. vom 15. 5. 1779 bezüglich der Bepflanzung von allen Straßen mit Obstbäumen wusste man zu schätzen.

Man pflanzte sehr gerne Birnbäume, besonders die Mostbirnen, die hier ja prächtig gediehen. Birnbäume waren um 1100 namensgebend für unseren Ort (Pirpomin, Pirpaum, Pirinbaum ...). Neben den Mostbirnen wurden auch andere Sorten, wie zum Beispiel Salzburgerbirnen gepflanzt. Die Köstlichkeit einer Salzburgerbirne ist so manchen heute noch bekannt.

So ein Salzburgerbirnbaum stand auch hinterm Klimesch (Kaatz)- Haus am westlichen Ortsausgang. Von hier führte ein Weg über „d´Mittagwoad“ (Mittagweide), so der Riedname, nach Süden. Hart an der Hausmauer vom Kaatz-Haus und am Burger-Stadl und -Stall vorbei, geht der Weg hügelan, entlang von Obstgärten, deren Früchte gar manchmal einfach zu verlockend über den Zaun lachten. Und das Sündenregister der Dorfbuben wurde wieder etwas länger!

An den Gärten von Burger - Engelbrecht (Müller) - Kurzmann (Resch) vorbei, führt uns der Weg bergan. Es ist dies wie beim Hoidaweg der südliche Wagram.
Oben endlich mündet der Fußweg in einen Feldweg (heute Birkengasse), der von der Kellergasse über die Mittagweide nordwärts zur Kremser Landstraße führt. Man könnte diesen Feldweg auch als Hö-henweg bezeichnen; weit hinaus schweift hier der Blick über die Ebene des Tullnerfel-des bis zu den Donauauen und an klaren Tagen bis hinüber zum Wagram. (7)

Von einem Fahrweg, der hinter den Gärten, vom Müllner-Garteneck zum Kurzmann (Resch)- Stadel verläuft und dann in die Trasdorferstraße mündet, zweigt ein Fußweg vom Gutscher (Marik) Garten nordostwärts ab. Dieser etwa 100m lange Fußweg hat eigentlich nur einen Zielpunkt, nämlich den Bahnhof. Der letzte Benützer dieses Weges war Rudolf Führlinger (Jg. 1950). Der Schreiber erinnert sich, dass er diesen des öfteren zu früher Morgenstunde den Pfad durch das taunasse Gras zur Bahnstation eilen sah. (8)

Wir sind nun am Ziel unserer Wanderung angelangt. Still ist es geworden um unsere Fußwege, und wir kehren zurück aus der Vergangenheit ins grelle Licht der Gegenwart. In die Hektik der heutigen Zeit, die keinen Platz für „Oschneida“ mehr hat.