Moosbierbaumer Dorfblatt'l. Unabhängige Moosbierbaumer Dorfzeitung
Jahrgang 7 • Ausgabe 20 • August 2005

 

Die Flakstellung am Schusterberg

von Vzlt. Josef Goldberger

Folge 3

Das Ende

Das Ende sollte am 13. April kommen. Die Front verlief zu diesem Zeitpunkt schon auf Höhe St. Pölten – Herzogenburg – Traismauer. In den Stellungen am Schusterberg ging die Munition aus. Die Russen konnten den Berg im Süden umgehen (man erzählt von einem einheimischen Verräter, der den Russen geholfen haben soll) und schließlich wurden die Verteidigungsanlagen ohne nennenswerte Gegenwehr mit aufgepflanzten Bajonetten gestürmt. Die Russen machten keine Gefangenen. Alle noch in den Stellungen befindlichen Soldaten und Flak-Helfer mussten hier ihr Leben für eine verlorene Sache lassen.

Belege

Der Pfarrchronik, geführt von Pfarrer Griessler, entnehmen wir:
„Die Kampfhandlungen an diesem Tage forderten auch nicht wenige Menschenleben, bei Tautendorf (Schusterberg) liegen über 60 Tote deutscherseits begraben, in Hütteldorf gegen 30, Russen zerstreut in Gärten, mehrere in Heiligeneich auf Äckern und Feldern, ihre Zahl ist unbekannt.“
Auch hier also kein Hinweis auf die jungen Luftwaffenhelfer oder auf die geflüchteten Offiziere.

Hofrat Walter Miedler aus Königstetten war selbst als Luftwaffenhelfer in Ternitz, bei Wr. Neustadt und auf der Schmelz in Wien eingesetzt. Er schreibt in einem Brief:
„Der besagte 13. April 1945 war ein Freitag. Er brachte für die gesamte Besatzung der am Schusterberg hauptsächlich zum Schutze des Werkes Moosbierbaum stationiert gewesenen schweren Großbatterie 2. und 9./290 den ebenso sicheren wie auch qualvollen Tod. Ein großes Holzkreuz kündet weithin den Ort des grauenvollen Gemetzels während der allerletzten Kriegstage. Die am Kreuzessockel angebrachte Gedenktafel weist 43 in dieser Stellung gefallene Kameraden aus. Und aus den nur spärlich vorhandenen Berichten darüber erfährt man, dass 20 dieser Toten Luftwaffenhelfer waren.

Von der Tullner Mittelschule waren zeitweise 25 Jungen als LwHs in Katzelsdorf, auf der Schmelz und in Michelhausen/Streithofen eingesetzt. Ein gütiges Schicksal forderte von ihnen keinerlei Opfer.

Anders war es ihren aus anderen Schulen gekommenen Kameraden auf dem Schusterberg ergangen. Ihnen wurde zum Verhängnis, dass sich von ihrer Stellung aus ein weiter Einblick in das unter ihnen liegende Perschlingtal bot.

Im Erdkampf eingesetzt, hielten sie zusammen mit den Flak-Soldaten die vom Osten anrückenden russischen Truppen volle sechs Tage lang, vom 8. bis zum 13. April, an diesem Punkt auf. Wütend darüber, machten die Angreifer nach der am sechsten Tag gelungenen Umgehung der Stellung und deren anschließenden Ausschaltung keinerlei Gefangene. Es gab nur Tote.“

Bisher erzählten mir Zeitzeugen immer wieder, dass die Buben von ihren Vorgesetzten allein gelassen wurden, noch bevor die Russen kamen seien die Offiziere abgehauen. Nun, das mag teilweise sogar stimmen, aber in den Sterbebüchern von Atzenbrugg fand ich unter den Gefallenen Offiziere und Unteroffiziere. Diese Tatsache lässt mich doch, zumindest teilweise, daran zweifeln. Weiters fand ich keinen einzigen, der jünger als 17 war, von 16-jährigen keine Spur.

Angesichts dessen scheint die Schilderung von Hofrat Miedler am glaubwürdigsten, da er nach dem Krieg mit Hilfe des Kameradschaftsbundes diesen Geschichten ausführlich nachgegangen ist.

Auszug aus der Pfarrchronik:
8. April 1945, Weißer Sonntag. Nur ein Gottesdienst bei geschlossenen Toren, nur 20 Teilnehmer. Einquartierungen in den Kellern, im Orte wird es stille, leere Straßen, ständige Schießereien im Osten und Westen, vom Turm Rauchsäulen und Brand im Osten sichtbar. Sprengung auf dem Schusterberg.

9. April 1945: stets wachsende und näherkommende Schießereien, schier unerträglich gegen Abend, gegen 7 Uhr Russeneinmarsch von Moosbierbaum her, im Hause Ring 2 Mann erschossen, im Pfarrhaus Einfall von rückwärts durch Garten und Scheune. „Visitationen“ in allen Räumen, ein buntes Treiben bis Mitternacht.

10. April 1945: endloses Kommen und Gehen, Küche stets belagert, kochen, essen, Eier und Hühner bevorzugt, suchen und nehmen, Kirche gewaltsam geöffnet, „musiziert“ auf dem Chor, Instrumente arg mitgenommen, auch allerlei anderes Inventar beschädigt und entwendet. Letzte heilige Messe.

11. April 1945: Das „Programm“ des 10. wird fortgesetzt und wiederholt. Erschießungen und Selbstmorde, insgesamt 10 bzw. 6.

13. April 1945: Ausmarsch zur Offensive gegen die Westfront hart hinter Heiligeneich, vormittags schärfste Schießerei, alles in den Kellern, schwere Schäden an Kirche und Pfarrhaus, Stadl und Garten, auch im Orte, harte Kämpfe um den Schusterberg bei Tautendorf ca. 60, bei Hütteldorf ca. 30 Tote auf deutscher Seite, nachmittags Ruhe, Detonationen immer entfernter, schwere Tanks (Panzer) fahren gegen Hütteldorf.

14. April 1945: weniger Rüsten auch mehr Ruhe, doch „Visitation“ geht weiter

15. April 1945: endlose Trains gegen Trasdorf ...

Mein besonderer Dank gilt Herrn Richard Heinz, Heiligeneich, der Familie Gutscher, Weinzierl, Pfarrer Richard Jindra mit der Pfarrchronik, die mich bei der Recherche tatkräftig unterstützten.


Chronik Zwentendorf.

Damit endet der Bericht über die Ereignisse am Schusterberg. Sollte unter unseren Lesern noch jemand sein, der sich an damals erinnern kann, möge er sich bitte bei Herrn Josef Goldberger melden.

Anschließend wollen wir einen Brief veröffentlichen, den unser Obmann Rudolf Reither von Herrn Karl Kihßl aus St. Pölten erhielt, den dieser im Nachlass seiner Großmutter fand. Herr Kihßl schrieb:

St. Pölten, am 13. 4. 2005

Lieber Herr Reither!

Habe mir heute die Originalbriefe von Großmutter nochmals vorgenommen. Diese sind 60 Jahre alt, mit Bleistift, im Eindruck der überstandenen schweren Ereignisse geschrieben, daher nicht leicht zu entziffern. Außerdem war Großmutter durch ihre ungenügende Schulausbildung ihr Leben lang im Schreiben gehandikapt. Durch den frühen Tod ihres Vaters mußte sie und ihre älteren Geschwister mit 12 Jahren der Schule fernbleiben und zur Arbeit gehen. Dies war dazumal nicht nur im Waldviertel sondern auch in anderen Teilen Österreichs gang und gäbe ...

Mit herzlichen Grüßen

 

Briefe unserer Großmutter Johanna Kihßl, geb. 1880, gest. 1966 in Moosbierbaum 59, über die Zeit der Bombenangriffe 1944 bis 1945. Vom Enkel Karl Kihßl, geb. 1930, wohnhaft in St. Pölten, aus der Kurrentschrift übertragen.

Liebe Kinder 5. 3. 1945

Gebe Euch bekannt, daß wir wieder glücklich davongekommen sind. Wir hatten am Donnerstag einen Großangriff von 9 Uhr vormittag bis 1/2 4 Uhr nachmittag. Da haben wir was mitgemacht. Das ganze Moosbierbaum ist beschädigt mit Vieh und Haus. Beim Trünkl, Bichlers, Schmied, beide Figl, Dettmann, wo die Häuser weg sind. Von den anderen die Hälfte. Dächer hat gar kein Haus mehr. Kotoun-Keller, Heidegger, Philipp und in Heiligeneich ist das Postgebäude weg. Figl, die Hebamme, Feistinger, Jager, Grasl, Steiner, Kiesler, Steindl, die sind alle weg. Beim Trag..? im Keller waren die Leute verschüttet. Sie haben furchtbar gewütet und Flugzettel geworfen.

„Wir lassen euch schlafen aber nicht schaffen und bis 13 bombardieren wir, das andere kann sich der Hitler am Hut stecken.“

Jetzt wird dann bald St. Pölten daran kommen.

Viele Grüße Mutter


Liebe Kinder (ohne Datum)

Gebe euch bekannt, daß wir noch am Leben sind. Wir hatten zwei Großangriffe in Moosbierbaum. Wir gehen auch nicht mehr in den Reischlkeller. Wir waren schon in Weinzierl. Ist auch schon sehr gefährlich, sind auch viele Bomben gefallen auf die Keller. Dort sind zwei Bomben gefallen, aber das hohe Erdreich hat das Gewölbe geschützt.

Daneben gab es auch Löcher. Da spielt sich jetzt etwas ab. Vorigen Mittwoch haben wir noch gerade den Schwanzerkeller erreicht. Es gab keinen Fliegeralarm. Ich ging gerade beim Aringer sind die Flieger schon geflogen und Bomben geworfen. Die Flak hat geschossen und ich weis nicht mehr wie ich in den Keller gekommen bin. Ich glaube, mich trifft der Schlag. Da hat sich etwas abgespielt. Alle haben sich in den Straßengraben geworfen. Gestern haben wir wieder am Dach Ziegel eingehängt. Ich und der Herr vom Kabinett. Die eine Seite vorm Brunnen. Jetzt haben wir noch die Hofseite. Die Fenster sind alle hin. Bei der Tür beim Gitterbett fehlt ein Teil. Die Karnischen hat es herausgerissen und das Ofenrohr zerquetscht. Alles voll Ruß. Die Fohringer sind weggezogen. Da kommt der Vorstand herunter, weil ihre Wohnung beim Bahnhof zerstört ist. Beim Reither ist alles wegrasiert. Haus, Vieh und Pferde sind hin. Beim Knoll ist das ganze Vieh hin. Die ganzen Wiesen beim Pfaller und Wegscheider. Es ist kein einziges Haus gut. Nun, was ist mit Karl? wo ist er denn? Ihr laßt gar nichts mehr hören. Gruß an alle Mutter


Liebe Kinder (ohne Datum - vermutlich im Dezember 1944)

Vor allem grüßen wir euch und geben bekannt, daß wir wieder mit guter Haut davongekommen sind. Wie sie am Montag gewütet hatten am Bahnhof. Es sind wieder große Bomben gefallen, wieder am gleichen Platz. Müllner, die Häuser drüber der Bahn und die Molkerei sind kaputt. Viele Zeitzünder sind heute am Nachmittag noch explodiert. In der Fabrik ist weniger zerstört, nur die umgebenden Ortschaften. In Dürnrohr gab es viele Tote. Rust und Michelhausen. Von Judenau bis Tulln war das ganze Gleis zerstört. Es konnte bis heute kein Zug fahren. Und über Tulln haben sie einen Bombenteppich gelegt. Auch die Quarglfabrik hat vorn und hinten Trichter. Das Personal war im Keller drinnen. Hilda ist ganz fertig. In einem Keller in Tulln haben sie gleich 43 Tote ausgegraben. Hilda ist heute hinuntergefahren und wird viel Neuigkeiten mitbringen. Sie muß schauen, ob sie noch arbeiten kann. Um 1/2 8 Uhr am Abend ist sie erst wieder heimgekommen. Außer Michelhausen ist der Zug entgleist. Hilda war im ersten Waggon. Die Leute wurden hin und her geworfen. Sie mußten alle zu Fuß gehen. Alle Leute aus dem Zug fürchteten sich. Am Abend war der Langer von Atzenbrugg mit dem Lastauto in Tulln, soll kein Dach mehr oben sein. Viele Geschäfte sind hin und auch sehr viele Geschäftsleute sind verschüttet gewesen. Am Betonbunker beim Bahnhof gab es einen Volltreffer. Vorige Woche mußten wir alle Tage in den Keller laufen. Zweimal schon um 5 Uhr früh sind Bomben gefallen. Ich und Hilda sind in der Küche am Boden gelegen. Es sind schon Bomben gefallen wie es Alarm gab. Milli war Samstag und Sonntag bei uns. Die Wiener sagten am 10. und 17. kommen sie. Wirklich sind sie erst einen Tag später gekommen. Das sind heuer Weihnachten die wir erleben müssen. Hanni. Vielleicht könntest du die Ente selber holen oder holen lassen. Schreibe mir bitte. Ob es möglich ist und ob du die Ente selber putzt. War gestern beim Doktor Wir sind alle schon so aufgepeitscht, da ich bei den Fliegeralarme alleine bin. Auch muß ich um die Hilda Kummer haben. Viele Grüsse Mutter

Unsere Serie „Krieg und Frieden“ wird in der nächsten Ausgabe mit einem Bericht über die dramatischen Ereignisse in der unmittelbaren Nachkriegszeit fortgesetzt.