Moosbierbaumer Dorfblatt'l. Unabhängige Moosbierbaumer Dorfzeitung
Jahrgang 8 • Ausgabe 22 • April 2006

 

Die Akte Schneider

In der letzten Ausgabe unserer Zeitung begannen wir mit dem Abdruck der Anklageschrift gegen den Moosbierbaumer Eierhändler Ferdinand Schneider, der nach dem Einmarsch der Russen in unserem Gebiet sich dank seiner Sprachkenntnisse als Dorfkaiser aufzuspielen begann. Erst nach dem Abzug der Besatzer konnte er vom Staatsanwalt seiner damals verübten Untaten angeklagt werden, von denen die Veranlassung der Ermordung des Moosbierbaumer Kaufmannes Eduard Krammer zweifellos die schwerwiegenste war.

In der letzten Folge konnten Sie lesen, wie Schneider in Begleitung von russischen Soldaten Krammers Haus durchsuchte und anschließend den Kaufmann zum Verhör ins Haus Quixtner nach Heiligeneich bringen ließ. Nun folgt der 2. Teil des Originalprotokolls:

Im Hause des Quirxtner waren einige russische Soldaten untergebracht, um eine Kommandantur handelte es sich hier aber nicht. In diesem Hause wurde nun Krammer einige Stunden lang von den beiden russischen Soldaten und dem Beschuldigten verhört. Eine Ostarbeiterin, die damals bei Quirxtner lebte, belauschte ein Gespräch zwischen dem Beschuldigten und den Russen und sagte darauf zu Quirxtner: "Oh je, dieser Mann (gemeint Krammer) wird erschossen". Der Beschuldigte fungierte bei der Vernehmung des Krammer nicht als Dolmetsch, sondern beteiligte sich vielmehr als Denunziant aktiv. Dieser Schluss ergibt sich daraus, dass Krammer im Hause des Quirxtner die Bemerkung machte: "Wenn ich nur einen Dolmetsch hätte, damit ich mich verständigen könnte, so wird mir nichts geglaubt". Gabriele Indinger, die im Jahre 1945 gleichfalls bei Quirxtner wohnte, hörte, wie der Beschuldigte anlässlich des Verhörs dem Krammer Vorhaltungen des Inhalts, er sei Spion und Faschist, machte.

Nachdem Krammer nach mehrstündigem Verhör vom Beschuldigten und den beiden russischen Soldaten aus dem Hause Quirxtner gebracht worden war, verlor man zunächst jede weitere Spur von ihm.

Am 27. 4. 1945 wurde die Leiche Krammers in einem Kleefeld neben der Straße Moosbierbaum-Hütteldorf mit total zertrümmerten Schädel aufgefunden. Daneben lag der blutbefleckte Teil des Holzschaftes einer russischen Maschinenpistole.

Als die Tochter des Ermordeten Maria Seif erfuhr, dass die Leiche ihres Vaters in einem Feld neben der Strasse nach Hütteldorf liege, begab sie sich mit Johann Schaider an die bezeichnete Stelle. Als sie dort beim Anblick ihres toten Vaters zu schreien begann, kamen russische Soldaten gelaufen, die sich nach der Ursache des Verhaltens der Maria Seif erkundigten. Schaider sagte nun, die Frau weine deshalb, weil ihr Vater von russischen Soldaten erschossen worden sei. Darauf antwortete einer der Soldaten: "Zivila starosta und 2 Ruski den Zivilpan kaputt machen". ("starosta" bedeutet soviel wie Bürgermeister, Ortsvorsteher). Nun begaben sich Schaider und Maria Seif in den Pfarrhof zur russischen Kommandantur. Dort wurde dem Zeugen Schaider, der allein empfangen wurde, nach Besprechung des Falles von einem als Dolmetsch fungierenden russischen Offizier gesagt: "Zivilkommandant - Kommandantura mit 2 Ruski, 2 Ruski nicht schiessen, Zivilkommandant mit Maschinenpistole kaputt machen".

Mit den Bezeichnungen "zivila starosta" (Zivilkommandant), kann einzig und allein der Beschuldigte gemeint sein. Dieser war nämlich in den ersten Wochen nach Kriegsende als einziger Vertrauensmann der örtlichen russischen Kommandantur eine Art inoffizieller Gemeindevorsteher. Er war übrigens auch der einzige Zivilist im ganzen Ort der in der damaligen Zeit ständig eine rote Armbinde trug. Kein anderer ausser Schneider war von den Russen als "zivila starosta" und Zivilkommandant anerkannt und der Bevölkerung gegenüber so bezeichnet worden.

Diese den Beschuldigten auf das schwerste belastenden Indizien werden durch die bereits oben geschilderte Art der Mitwirkung Schneiders an der Festnahme und Vernehmung des Krammer bei Quirxtner noch unterstützt. Überdies ist zu berücksichtigen, dass Krammer nicht erschossen - wie es Soldaten getan hätten - sondern erschlagen wurde. Aus dem Gutachten des Institutes für gerichtliche Medizin der Universität Wien ergibt sich nämlich, dass der Tod des Eduard Krammer durch wuchtige Schläge mit einem stumpfen Gegenstand gegen den Schädel - zweifellos mit dem neben dem Toten aufgefundenen blutbefleckten Gewehrkolben - eingetreten ist.

Ferdinand Schneider mit seinem Fuhrwerk
Der Eierfragner Ferdinand Schneider mit seinem Fuhrwerk, abgebildet vor dem Haus Trunzer (heute Cicek) in Moosbierbaum

Der Beschuldigte, der seinem Opfer auch aus politischen Gründen schlecht gesinnt war, hat aber seine Tat vor allem in der Absicht begangen, sich in den gesamten, aus Haus und Geschäft bestehenden Besitz des Eduard Krammer zu setzen.

Unmittelbar nach der Ermordung Krammers, richtete er nämlich an die Witwe seines Opfers, Josefa Krammer, ein mit dem Siegel der Gebietsleitung der KPÖ. versehenen Schreiben, in dem Josefa Krammer aufgefordert wurde, bis 18.00 Uhr jenes Tages, an dem ihr das Schreiben überbracht worden war, mit ihrer Tochter das Haus zu verlassen und den Schlüssel bei der Gebietsleitung der KPÖ. abzugeben. Das gesamte Inventar sollte sie nach dem genannten Befehl des Beschuldigten im Hause zurücklassen. Auf Grund dieses Schreibens begab sich Josefa Krammer zu dem zuständigen Bezirkshauptmann von Tulln, Dr. Sykora, der bei der Bezirksleitung der KPÖ. Tulln intervenierte und erreichte, dass der Befehl Schneiders außer Kraft gesetzt wurde. (Das Schreiben der Bezirksleitung Tulln an den damaligen Gebietsleiter Schneider erliegt im Akt unter S. 17).

Der Beschuldigte nahm offensichtlich an, dass er sich leichter in den Besitz der Familie Krammer setzten könne, wenn Eduard Krammer beseitigt ist, da der zu erwartende Widerstand der beiden hinterbliebenen Frauen (Witwe und Tochter) bei den damaligen Verhältnissen keinesfalls als übermäßig gross angenommen werden konnte. Dass der von ihm ausgeübte Terror selbst von der vorgesetzten Parteistelle, der Bezirksleitung Tulln, nicht ohne weiteres geduldet würde, konnte Schneider vor Begehung des Mordes freilich nicht annehmen.

Wie bereits einleitend festgestellt, beging der Beschuldigte während der Umbruchstage des Jahres 1945 noch eine Anzahl weiterer Verbrechen:

An einem Apriltag des Jahres 1945 erschien er in Gesellschaft seiner Lebensgefährtin Amalie Korner und einer unbekannten Zivilperson mehrmals im Magazin des Produktenhändlers Ferdinand Stradel auf dem Bahnhof Moosbierbaum-Heiligeneich und brachte jedesmal mittels eines Handwagens mehrer Säcke Kleie weg. Gleichfalls an einem Apriltag des Jahres 1945 forderte er den Landwirt Josef Pruckner auf, sein Gespann zum Abtransport einer unbekannten Zahl von Jutesäcken aus dem genannten Magazin des Ferdinand Stradel. Die Säcke wurden in die damals von russischen Soldaten betriebene Mühle des Eduard Langer nach Atzenbrugg gebracht.

Im Juni 1945 erschien Schneider mit mehreren Soldaten im Hofe des Landwirtes Strohmaier und forderte die Soldaten auf, alles zu stehlen was zu finden sei, "da ihm diese Leute früher ohnehin nie Eier verkaufen wollten". Desgleichen wurden 18 Schweine, 3 Kühe und 4 Schafe geplündert.

Der Beschuldigte hat weiter mit Soldaten im Hause des Landwirtes Kurzmann 4 Schweine und 6 Kühe aus dem Stall getrieben und dem Eigentümer entzogen. Der Wert des Diebsgutes, welches sich der Beschuldigte mit seinen Mittätern aneignete, beträgt mehr als 5.000.-- S.

Wird fortgesetzt